Der Weg zum neunten Grad: Tipps zum Klettertraining

Magazine Wissenswertes Der Weg zum neunten Grad: Tipps zum Klettertraining

Wir haben den neunmaligen Deutschen Meister im Sportklettern Christian Bindhammer gebeten, euch ein paar Tipps & Tricks zu geben. Christian weiß, wie es geht: Immerhin hat er unzählige Routen mit den Schwierigkeitsgraden 8c+ und auf dem neunten Grad auf seinem Konto, war schon „Arco Rockmaster“ im Jahr 2001. Wir präsentieren euch zehn Tipps eines Spitzenkletterers.

Klettern ist eine Leidenschaft, ein Lebensgefühl und meist auch eine Sucht. Wer einmal das Erlebnis hatte, eine Route an seinem persönlichen Limit durchsteigen zu können, der ist angefixt. Immer mehr, immer weiter, immer schwieriger. Anfänger freuen sich über den Sprung zum sechsten UIAA-Grad, Fortgeschrittene lassen sich von Routen im siebten Grad nicht aus der Ruhe bringen. Der Weg zum vollen achten Schwierigkeitsgrad stellt dann die erste wirklich harte Grenze zwischen „Klettermaxe“ und „Sportkletterer“ dar. Ist diese übersprungen, möchte man auch Routen im neunten Grad, also vielleicht mal eine französische 7c oder 7c+ bewältigen können. Aber irgendwann ist für den „Normalo“, der ab und zu mal klettern geht, eine Grenze erreicht, die nur mit zielgerichtetem Training übersprungen werden kann.

Der größte internationale Erfolg für Christian Bindhammer war der Sieg beim Rockmaster in Arco im Jahr 2001
Der größte internationale Erfolg für Christian Bindhammer war der Sieg beim Rockmaster in Arco im Jahr 2001. | ©Dominik Bösch

Kurze Übersicht zur Kletterskala

Als Schwierigkeitsskala (auch Schwierigkeitstabelle) bezeichnet man beim Klettern eine Skala aus Zahlen oder Buchstaben, die die Schwierigkeit einer Kletterroute beschreibt. Anhand dieser Bewertungsskala lässt sich dann ganz einfach die Schwierigkeit verschiedener Kletterrouten vergleichen.

Über die Zeit, hat sich beim Freiklettern eine Vielzahl an Bewertungssystemen entwickelt. Jenes hat den großen Nachteil, das die Bewertungssysteme teilweise auch unterschiedliche Schwerpunkte bei den Einflussfaktoren setzen. Die meisten dieser Skalen sind nur regional von Bedeutung. Knapp drei bzw. vier sind überregional gebräuchlich und dienen damit auch als Referenz zur „Umrechnung“ der anderen Skalen. Die überregional gebräuchlichen Bewertungsskalen sind die französische Skala, die UIAA-Skala und teilweise auch die amerikanische Skala.

In Europa gilt die frz. Skala

Vor allem in Europa, hat sich im beim Sportklettern in hohen Schwierigkeitsgraden die französische Skala durchgesetzt. Wie in der UIAA-Skala, wird hier zunächst von 1 bis 4 hochgezählt. Das bedeutet, eine Route mit einer kleinen Zahl ist leichter als eine Route mit einer großen Zahl. Ab UIAA V oder französisch 5 kommt – ähnlich der Unterteilung in „-„, „glatt“ und „+“ – einer der Buchstaben „a,b,c“ hinzu.

In diesem Fall bedeutet das, dass eine 7a Route also zum Beispiel leichter ist als eine 7b Route. In der französischen Skala gibt es pro Zahl und Buchstabe noch die Einteilung in „glatt“ oder „+“. So ist eine „glatte“ 7a Route leichter als eine Route im Grad 7a+, diese ist leichter als eine 7b, und alle diese Routen sind leichter als 7b+, 7c, 7c+ oder 8a. Die aktuell schwierigste Route ist mit dem Grad UIAA XII oder französisch 9c bewertet.

neunte Grad
Umrechnungstabelle: Schwierigkeitsgrade beim Klettern. | Grafik: Bergzeit

 

Was bedeutet der neunte Grad?

Im neunten Grad geht der Körper an seine Grenzen. Die Züge sind am schwersten, die Arme schütteln oder sich kurz ausruhen kann nur selten unter glücklichen Umständen unternommen werden. Das heißt, Maximalkraft, Kraftausdauer und Erholungsfähigkeit werden noch wichtiger. Spätestens jetzt ist gezieltes Training sinnvoll. Denn im neunten UIAA-Grad müssen Taktik, Kraft und Technik nun perfekt zusammenspielen.

 

Top Ten: Christian Bindhammer gibt Tipps & Tricks:

1. Geht regelmäßig zum Klettern und Trainieren

Jedem angehenden Sportler wird von Beginn an eingetrichtert: Einmal in der Woche zu trainieren, ist zu wenig! Das Prinzip der Superkompensation besagt, dass man seine Leistungsfähigkeit langfristig nur steigern kann, wenn man den richtigen Trainingsreiz zum richtigen Zeitpunkt setzt. Denn in der Erholungsphase regeneriert der Körper nicht nur, sondern er passt sich auch an ein höheres Leistungsniveau an. Heißt für euch: nicht zu lange, aber auch nicht zu kurze Trainingspausen machen! Drei Mal in der Woche solltet ihr schon trainieren, damit der neunte Grad erreicht werden kann. Variiert daher die Trainingsreize in den Einheiten, dadurch ist garantiert auch mehr möglich.

2. Klimmzugstange für die Wohnung

Ein guter Tipp von Christian – eine Klimmzugstange sollte ihr euch nicht nur installieren, sondern auch ab und zu etwas daran machen. Soll heißen: Nicht nur beim Partys zuhause nach ein paar Bieren einen Klimmzug-Contest starten, sondern die Stange auch zum Training nutzen – wie hier auf dem Bild Jürgen Reis. Zum Beispiel zwischendurch eine Session von 7 x 10 Klimmzüge mit verschiedenen Griffweiten einlegen. Effekt: positiv – Zeitaufwand: gering!

3. Schaut auf eure Fußtechnik

Präzises „stehen“ ist die Halbe Miete. Die Fußtechnik ist das A und O eines guten Kletterers. Heelhook, Toehook, Zehenstand, Beweglichkeit in den unteren Extremitäten – all das will trainiert werden. Tut ihr es nicht, wird der Weg zum neunten Grad sehr schwer!

neunte Grad
Beim Heel-Hook wird der Fuß nicht einfach gestellt, sondern zieht aktiv am Tritt, was hilft, den Körper beispielsweise in steilen Routen an der Wand zu halten. | ©bergleben.de

 

4. Flüssig und kraftsparend auf den ersten Klettermetern der Routen klettern

Christian zählt wie Juliane Wurm bei den Damen zu den ausdauerstärksten Athleten in Deutschland – er hat sich den DM-Titel 2007 zum Beispiel in einer extrem langen Route in Frankenthal nur dank seiner Kondition gesichert. Chris weiß: Wer schon zu Beginn einer Route seine Kräfte verschleudert, der wird an der Crux nicht genug Power haben, um die Schlüsselstelle zu überwinden. Also: Die ersten Klettermeter möglichst zügig, flüssig und ohne lange zu zögern durchklettern. Greift nur so fest, wie es nötig ist, um nicht zu fallen. Damit wahrt ihre eure Chancen, auch in längeren Routen zu triumphieren.

5. Geht soviel wie möglich an den Fels

Vorgefertigte, bunte Griffe, die euch den Weg vorgeben? Am Fels Fehlanzeige. Daher ist das Training am Naturstein auch so effektiv: nicht nur für eure Muskeln, sondern auch für euer Auge und die Koordination. Versucht daher, so oft ihr nur könnt raus zu gehen und den Hallenmief zu meiden.

6. Wechselt Boulder- und Routentraining im vierwöchigen Rhythmus

Wer sich nur auf eine der beiden Trainingsarten konzentriert, kommt bald an einen Punkt, wo er nicht weiterkommt. Entweder eure Maximalkraft ist ausreichend, ihr haltet die schwersten Züge, aber nach maximal zehn Zügen geht euch die Puste aus. Oder eure Kraftausdauer ist sehr gut, dafür habt ihr Probleme an den Schlüsselstellen, die einen hohen Kraftaufwand oder technisches Können erfordern. Des Rätsels Lösung: Trainingsvariation!

7. Versucht, auch Campusboard-Training mit einzubeziehen

Das Campusboard ist ein beliebtes Trainingsmittel, um die Fingerkraft zu stärken. Auch Christian rät euch zum Training an dem Brett, das in allen Kletterhallen zu finden ist. Hier könnt ihr an Leisten, die für ein oder zwei Fingerglieder Auflagefläche bieten, Klimmzüge oder Hangübungen in jeglicher Form machen. Viel Spaß dabei! Und wenn ihr lang genug trainiert, seid ihr bald so fit wie Leichtgewicht Dave Graham.

Das Campusbpard wird zum Stärken der Fingerbeuger und der Oberarmmuskulatur genutzt
Das Campusbpard wird zum Stärken der Fingerbeuger und der Oberarmmuskulatur genutzt. | ©https://lafabriqueverticale.com

 

8. Bleibt hartnäckig an euren Projekten dran

Hartnäckigkeit und Trainingsfleiss werden fast immer belohnt. Kaum jemand schafft es, Routen am Leistungslimit gleich auf Anhieb zu durchsteigen. Lasst euch von Misserfolgen nicht demotivieren, bleibt heiß und sprecht euch immer wieder Mut zu. Je öfter man an der Crux aus der Wand gefallen ist, desto größer werden die Chancen, es irgendwann zu schaffen.

9. Sucht euch realistische und nicht zu harte Routen

Ehrgeiz ist gut, falscher Ehrgeiz hingegen führt meist zu demotivierenden Ergebnissen und Erlebnissen. Klar, ihr wollt so schwer wir möglich klettern, vielleicht mit eurem Kletterpartner mithalten oder ihm/ihr mal zeigen, wo der Hammer hängt. Aber bleibt realistisch, denn es macht einfach keinen Spaß, die gewählte Route nicht einmal ansatzweise zu bewältigen – und der Trainingseffekt ist meist auch eher gering. Macht beim Routentraining zu Beginn ein, zwei Routen zwei Grade unter eurer Leistungsfähigkeit zum Warmmachen, steigert euch dann soweit, dass ihr trotzdem euer Trainingsziel nicht aus den Augen verliert: Kraftausdauer, ggf. technische Elemente oder bestimmte Griffarten zu verbessern. An und vielleicht auch über eurer Leistungsgrenze könnt ihr gut beim Boulder-Training gehen!

10. Trainiert eure Schwächen mehr als eure Stärken

Klar: Klettern ist euer Hobby und bringt in erster Linie Spaß. Wer allerdings Routen im neunten und zehnten Grad klettern will, der muss den Spaß irgendwann eine Stufe zurückstellen. Immer nur seine Lieblingsgriffe trainieren, seinen Körper mit Maximalkrafttraining shapen oder technisch einseitige Routen klettern? Damit kommt ihr nicht weiter. Deshalb: Besiegt euren inneren Schweinehund und trainiert eure Schwächen, nicht nur eure Stärken!

Und zuletzt: „Bleibt motiviert und konzentriert!“

 

Weitere Artikel die Dich interessieren könnten:

Die sieben einfachsten 5000er Berge der Welt

Sieben koordinative Fähigkeiten

Sommertraining: Übungen zur Kraftausdauer

 

Teilen:
Copyright © 1995-2024  Mountain News LLC.  All rights reserved.